
Die Sterbebegleitung bei der eigenen Katze umzusetzen ist hart. Während ich diesen Blog-Beitrag schreibe macht sich meine Katze Mischu langsam bereit in ein neues Abenteuer zu starten. Ich möchte dich dennoch etwas daran teilhaben lassen, denn vielleicht hast du dich auch schon einmal oder mehrfach in dieser Situation befunden. Oder du steckst just heute mittendrin und musst ein geliebtes Tier loslassen.
MAMA, WIE LANGE DAUERT STERBEN?
Während wir Mischus Fell streicheln und ihren leisen Schnarchgeräuschen lauschen, fragt meine 5jährige Tochter Emma: „Mama, wie lange dauert Sterben?“ Zuvor habe ich ihr gesagt, dass sich vielleicht heute Mischu auf den Weg in ein neues, großes Abenteuer macht, auf das wir sie nicht körperlich begleiten können. Wie lange aber dauert Sterben? Das ist eine Frage, die kann man irgendwie nie so wirklich zufriedenstellend beantworten. Denn es gibt hier keinen festen Termin, keine Anzahl an Stunden, Tagen, Wochen. Das Sterben ist ein Prozess, ähnlich wie die Geburt. Nur im umgekehrten Sinne. Den Moment, wenn das Baby „Draußen“ ist und zum ersten Mal einatmet und schreit, vergleiche ich immer mit dem Moment, indem der Sterbende zum letzten Mal atmet. Der Prozess, der jedoch bis zu diesem kurzen Moment stattfindet kann dauern. So wie ein Baby bestenfalls 9 Monate braucht, um in den Armen der Eltern einzuatmen, kann es Wochen oder Monate dauern, bis ein Lebewesen medizinisch betrachtet tot ist.
Ich habe meiner Tochter deshalb ehrlich geantwortet. „Ich kann es dir nicht genau sagen. Mischu wird dann gehen, wenn sie so weit ist. Wenn sie bereit ist für das neue große Abenteuer.“ Wie Kinder sind, fragte meine Tochter woher ich mir so sicher sei, dass sie stirbt. In diesem Moment war ich ausgesprochen froh, dass mein Mann nach ihr rief und sie die im Raum stehende Frage vergaß, als sie aufsprang und mich mit Mischu allein ließ. Woher weiß ich es? „Frau Tschöpe, sind Sie sich sicher? Es könnte doch auch nur……“
Ich habe in den letzten 10 Jahren so oft diese Frage gestellt bekommen und natürlich auch mir selbst gestellt, wenn es einem meiner Tiere schlecht ging. Wenn wir beim Tierarzt waren, eine oder keine Diagnose hatten, medizinisch alles versuchten, aber der Zustand nur noch bergab ging. Ich habe gehofft, dass mich mein Gefühl täuschen würde. Jedes Mal. Und jedes Mal hatte mein Bauchgefühl Recht. Ich glaube jeder Mensch spürt es, der sein Tier begleitet. Einfach weil man sehr innig, über eine unsichtbare Herzlinie, miteinander verbunden ist. Man kennt sein Tier, man weiß es einfach und man will es absolut nicht wahrhaben.
So ging es auch mir, als ich dort saß. Warum kann meine 20jährige „methusalem-alte“ Katze nicht einfach nur einen kleinen Infekt haben, von dem sie sich wieder erholt? Warum muss mir durch so viele Momente in den letzten Wochen so bewusst sein, dass sie Sterbephasen durchlebt?
FÜNF STERBEPHASEN
Auch wenn es nach manchen Quellen eine utopisch hohe Anzahl von Phasen im Sterbeprozess gibt, ich finde es oft schon schwer die „großen“ 5 zu erkennen, von denen viele Sterbeforscher, darunter Elisabeth Kübler-Ross sprechen:
- Nahrungsveränderung (Erde löst sich in Wasser)
- Veränderung des Stoffwechsels (Wasser löst sich in Feuer)
- Zurück ins Leben, es geht mir gut (Feuer löst sich in Luft)
- Schmerzunempfindlichkeit (Luft löst sich in Raum)
- Ausatmen und Übertritt (Luft löst sich in Raum)
Jede dieser Phasen kann unterschiedlich intensiv und lang dauern. Manche Tiere durchlaufen eine Phase recht lang, ehe die nächste dann sehr kurz erscheint oder von uns Menschen so gut wie gar nicht bemerkt wird. Bei Mischu habe ich das Eintreten in Phase 1 erst 4 Wochen später so richtig realisiert. Als sie nämlich plötzlich so massiv abbaute. Hier trat eine Unsauberkeit auf, die ich auf die Demenz schob. Sie ging zum Katzenklo, betrat mit beiden Vorderpfoten die Kiste und ließ dann laufen. Die Pfütze landete davor und das nicht nur einmal pro Tag. Zudem hatte ich den Eindruck sie setzt unglaublich viel Urin ab, so dass ich relativ häufig diesen mittels Teststreifen untersuchte. Doch da war nichts. Trotz der CNI (chronische Niereninsuffizienz) weder Eiweiß, noch Blut im Urin. Das war schon mal beruhigend. Sie fraß auch so unglaublich viel und leckte sogar die Näpfe komplett leer.
Dieses Verhalten hatte sie trotz ausgesprochen großem Appetit in den 4 Jahren noch nie gezeigt. Ihre Näpfe sahen nun aus wie die unseres Hundes. Sie verlangte auch nach mehr und nahm 300 g zu. Da ich dieses Symptom, ebenso die Unsauberkeit auch mit einer Krankheit in Verbindung brachte, recherchierte ich, machte auch deshalb nochmal einen Urintest, wieder ohne Ergebnis. Es war ungefähr eine Woche vor dem Tierarztbesuch, da war sie sehr unruhig. Sie durchschritt mein Büro und maunzte Gegenstände an. Sie legte sich hin, stand wieder auf. Das Ganze ging über 2-3 Stunden am Morgen. Sie machte mich wahnsinnig damit. Mir dämmerte etwas, doch ich schob den Gedanken beiseite. Mit 20 stirbt man noch nicht. Basta! Doch schließlich vereinbarten wir einen Termin beim Tierarzt.
Der Tierarzt horchte sie ab, entnahm Blut, untersuchte sie. Es gab eine Infusion, etwas Schmerzmittel und wir sollten Zuhause infundieren. Zwei Tage später brachte uns das große Blutbild überhaupt nicht weiter. Die Werte waren ähnlich zu denen im September des Vorjahres. Vielleicht nur eine wetterbedingte Kreislaufschwäche, bedingt durch den Bluthochdruck und die blutdrucksenkenden Mittel, so seine Vermutung.
Ich hoffte, aber dieser Stein in meinem Magen war wieder da und der sagte mir, dass da „Mehr“ ist, das ist keine Krankheit, das ist Sterben. Nichts schlug an. Weder die Infusionen noch meine alternativen Gaben, keine Zufütterung mit Aufbaukost (Reconvales alfavet). Mischu wurde weniger. Sie schlief, teils so tief, dass sie uns nicht bemerkte, wenn wir den Raum betraten. Und dann kam der Tag, an dem sie partout nichts fressen wollte. Angewidert drehte sie den Kopf weg, wenn sich der Napf ihr näherte. Dabei hatte ich mich dazu durchgerungen und sogar das minderwertigste Futter besorgt, Hauptsache sie würde irgendwas selbständig zu sich nehmen.
ICH LASSE DICH GEHEN
Alte Lebewesen ganz gleich, ob Mensch oder Tier, verändern sich was ihren Appetit, ihren Durst betrifft. Sie wollen nicht mehr, sind einfach nur noch müde. Und genau das zeigte mir Mischu. An diesem einen Abend habe ich für mich dann schweren Herzens entschieden, dass ich sie zu nichts mehr zwingen werde. Einzig und allein die medikamentös notwendigen Blutdruckmittel würde sie morgens und abends noch erhalten. Sonst würde ich keine Zwangsfütterung mehr umsetzen.
Und genau diese Entscheidung tat so unglaublich weh, obwohl ich sie schon viele Male bei meinen Kaninchen getroffen habe. Ich weinte, streichelte sie, sagte ihr alles, was mir auf dem Herzen lag und ich noch loswerden wollte. Ich küsste sie an diesem Abend auf den Kopf, steckte meine Nase in ihr Fell. Ich stellte ein Buffet von 3 verschiedenen Futtersorten, gut getränkt mit Wasser auf und wünschte ihr eine gute Nacht und einen guten Start in ein vielleicht schon bald beginnendes Abenteuer.
Mir war so unglaublich übel. Es fiel mir so schwer, sie allein zu lassen, aber zu bleiben hätte für sie eine Unruhe bedeutet. Der nächste Morgen kam und mir war schlecht. Mir graute vor dem Gang in ihr Zimmer. Ich wusste nicht was mich erwarten würde. Mischu lag ganz friedlich schlafend auf ihrem pinken Kissen und schnarchte leise vor sich hin. Zwei nasse Stellen in der Katzentoilette signalisierten, hier war jemand auf dem Klo. Am Buffet war wenigstens aus einem der Näpfe (der mit dem hochwertigen Futter – yeah kluge Katze) gefressen worden, wenn auch nur wenig. Sie war noch da.
EINMAL EINE ABKÜRZUNG ZUM HIMMEL, BITTE
Mir wird morgens, wenn ich zwar einerseits glücklich bin, dass sie noch da ist, andererseits aber auch irgendwo sprachlos, dass ein neuer ungewisser Tag vor uns liegt immer aufs Neue bewusst, wie doof wir Menschen sind. Zuerst kann es nicht lang genug dauern, bis man am Scheideweg steht. Und wenn dann das Sterben beginnt, möchten wir das das Abschiednehmen möglichst schnell vorüber geht. Einmal eine Abkürzung zum Himmel bitte.
Die Abkürzung können wir durch den Tierarzt bekommen, der die Euthanasie durchführen könnte. Ja, auch ich könnte Mischu erlösen lassen. Und ich behalte mir diese Möglichkeit im Hinterkopf für den Fall, dass sie leidet. Dass sie Schmerzen hat, dass irgendeine Qual entsteht. So aber leide hier nur ich bei der Begleitung, primär am Abend, wenn es wieder heißt gute Nacht zu sagen. Ich wünsche mir keine Abkürzung zum Himmel, denn so oft konnte ich Tieren nicht Adieu sagen. So oft war ich wegen einer Diagnose oder aber dem plötzlichen Tod vor einer unumkehrbaren Situation und musste damit fertig werden. Das empfinde ich als wesentlich schlimmer. Nicht die Chance zu erhalten sich zu verabschieden.
Und so werde ich Mischu weiter begleiten. Sie in allem unterstützen was sie benötigt, sich wünscht. Und meiner wunderschönen Katze einen hoffentlich friedvollen Übertritt wünschen. Das ist meine Liebeserklärung an sie, die es nicht nur in guten Zeiten geben sollte, sondern insbesondere dann, wenn ein großes neues Abenteuer für den felligen Freund beginnt.
IRONIE DES SCHICKSALS
Besonders schwer ist es für mich auch gerade, weil ich mich im Frühjahr 2020 bereits dazu entschlossen habe, im Oktober 2020 eine Fachfortbildung zur Sterbebegleitung beim Haustier online anzubieten. Als dann absehbar ist, sie findet mit genügend Teilnehmern statt, ich damit beginne die Unterlagen zu überarbeiten, die Arbeitsblätter vorzubereiten, beginnt meine Katze mit ihrem Sterbeprozess…… Ich habe zu meiner engen Vertrauten Beate Seebauer gesagt, dass ich das als unheimliche Belastung empfinde und überhaupt nicht verstehen kann, warum das ausgerechnet jetzt sein muss. Beate hat mir geantwortet, dass alles im Leben seinen Grund hat und vielleicht soll Mischu mich bei dieser Vorbereitung für den neuen Kurs noch begleiten.
In jedem Fall hinterlässt sie ein solches Vermächtnis, so tiefe Spuren, über die ich unglaublich dankbar bin.
Mischu – meine wunderbare Miez. Hab dank für so viele Momente in den Jahren, die ich auf ewig im Herzen fest eingeschlossen habe. Danke, dass wir unter den vielen Tierfotos auf Facebook damals auf Deine Anzeige gestoßen sind und Du zu uns wolltest. Danke für Deine unglaublich sanftmütige Art, die Du uns und allen Gästen stets gezeigt hast. Du wirst uns fehlen.
Auch wenn es mir schwer fiel, ich wollte meine Gefühle dazu auch in einem Audiobeitrag festhalten. Und das habe ich in der folgenden Podcastepisode getan. Vielleicht magst du reinhören:

Ergänzung: Mischu ist am 20. August 2020 im Alter von zwanzig Jahren selbstbestimmt, auf natürlichem Wege friedlich eingeschlafen – etwa 3 Wochen nach Fertigstellung dieses Blogbeitrags. Sie fehlt uns.